(...) General Löwenhjelm, etwas misstrauisch gegen den Wein, nahm ein Schlückchen, stutzte, hob sich halb vom Sitz, führte das Glas zuerst an die Nase und dann in Augenhöhe und liess sich verwirrt wieder auf seinen Stuhl fallen. Das ist ja nicht zu glauben, dachte er. Amontillado! Und der feinste Amontillado, den ich je getrunken habe! Um die Zuverlässigkeit seiner Sinneswahrnehmungen zu prüfen, kostete er einen Löffel Suppe, kostete einen zweiten, und liess dann den Löffel sinken. Das wird ja immer wunderlicher, sagte er sich; was ich hier esse, ist doch unzweifelhaft Schildkrötensuppe - und zwar was für eine! Er fühlte sich von einer seltsamen Art von Panik übermannt und leerte sein Glas.
(...)
Der Junge füllte die Gläser neu. Dieses Mal wussten die Brüder und Schwestern, dass es sich bei dem Getränk nicht um Wein handeln konnte, denn es sprühte. Es muss eine Art Limonade sein, die aufs beste zu ihrem angeregten Geisteszustand passte und sie gleichsam von der Erde emporhob in höhere, reinere Regionen.
General Löwenhjelm stellte das Glas wieder zurück, wandte sich an seinen Nachbarn zur Rechten und sagte: "Aber das ist doch ein Veuve Cliquot 1860?" Der Angesprochene blickte ihn freundlich an, lächelte ihm zu und machte eine Bemerkung über das Wetter.
Der Junge hatte seine Anweisungen: Er füllte den Mitgliedern der Brüdergemeinde die Gläser nur einmal, dem General aber füllte er nach, sowie er ausgetrunken hatte. Und das geschah in raschem Wechsel. Denn wie soll sich ein Mann von Sinn und Verstand verhalten, wenn er sich auf Sinn und Verstand nicht mehr verlassen kann? Besser, man ist betrunken als verrückt.
Häufig war es den Leuten von Berlevaag bisher geschehen, dass sie sich nach einem guten Essen mit der Zeit ein wenig träge fühlten. An diesem Abend war das anders. Die Tafelnden wurden leichter an Gewicht und leichter von innen her, je mehr sie assen und tranken. Jetzt brauchten sie sich nicht mehr an ihr Gelübde zu erinnern. Es war ihnen klar geworden, wenn der Mensch jeden Gedanken an Speis und Trank nicht allein vergisst, sondern vollkommen aus seinem Bewusstsein verbannt, dann isst und trinkt er im rechten Geist.
General Löwenhjelm hörte zu essen auf und blieb regungslos sitzen. Wieder wanderten seine Gedanken zurück zu jenem Festessen in Paris, an das er während der Schlittenfahrt gedacht hatte. Damais war ein ganz unglaublich ausgefallenes und wohlschmeckendes Gericht aufgetragen worden; er hatte sich bei seinem Nachbarn, dem Obersten Galliffet, nach dem Namen erkundigt, und der Oberst hatte ihm lächelnd geantwortet, es heisse "Cailles en Sarcophage". Er hatte hinzugesetzt, das Gericht sei von dem Küchenchef des Cafes, in welchem sie speisten, persönlich erfunden. Diese Person gelte in ganz Paris als das grösste kulinarische Genie der Gegenwart, und - kaum zu glauben! - es handle sich um eine Frau. "Und wahrhaftig", sagte Oberst Galliffet, "diese Frau verwandelt ein Diner im Cafe Anglais in eine Art Liebesaffäre - eine Liebesaffäre von der edlen, romantischen Sorte, wo man nicht mehr unterscheidet, was körperliche und was geistige Begierde und Sättigung ist. Sie können mir glauben, ich habe schon um manche schöne Frau ein Duell gehabt. Aber es gibt in ganz Paris keine Frau, jünger Freund, für die ich lieber mein Blut vergiessen würde." General Löwenhjelm wandte sich an seinen Nachbarn zur Linken und sagte zu ihm: "Das sind doch zweifellos Cailles en Sarcophage!" Der Nachbar, der eben der Beschreibung eines Wunders gelauscht hatte, blickte ihn geistesabwesend an; dann nickte er zustimmend und erwiderte: "Ja, ja, gewiss doch. Was sollte es sonst sein?"
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General Löwenhjelm wunderte sich über nichts mehr. Als ein paar Augenblicke später Trauben, Pfirsiche und frische Feigen vor ihn hingestellt wurden, sagt er lächelnd zu dem ihm gegenübersitzenden Gast: "Schöne Weintrauben!" Der aber antwortete: "Und sie kamen bis an den Bach Eskol und schnitten daselbst eine Rebe ab mit einer Weintraube und liessen sie zwei auf einem Stecken tragen."
Da fühlte der General, dass die Zeit gekommen war, eine Rede zu halten. Er schob seinen Stuhl zurück und richtete sich kerzengerade auf.
Niemand sonst am Tisch war aufgestanden, um zu sprechen. Die alten Leutlein hoben in hoher, seliger Erwartung ihre Augen zu dem Gesicht da oben. Sie waren an den Anblick gewöhnt von Seeleuten und Landstreichern, die stockbesoffen waren von dem landesüblichen scharfen Schnaps. Doch erkannten sie mitnichten in dem Krieger und Hofmann die vom edelsten Wein der Welt hervorgebrachte Trunkenheit.
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Tania Blixen
Babettes Fest (1958)
in: T. Blixen, Schicksalsanekdoten (aus dem Englischen von W. E. Süskind)
Rowohlt Verlag, Hamburg 1996 oder: Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart (1982) S. 42 ff. (10. Kapitel, Babettes Diner) |
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