Italo Calvino
aus: Unter der Jaguar-Sonne
Dies nämlich war eine Schlussfolgerung, zu der ich gelangt war und die Olivia sich prompt zu eigen gemacht hatte (oder zu der mir Olivia vielleicht die Idee eingegeben und die ich dann lediglich in meinen Worten wiederholt hatte): Die wahre Reise, verstanden als Introjektion eines Aussen, das sich von unserer gewohnten Aussenwelt unterscheidet, impliziert eine totale Veränderung der Ernährungsweise, ein Verschlingen des besuchten Landes in seiner Fauna und Flora und seiner Kultur (wozu nicht nur die andersartigen Küchen- und Zubereitungsverfahren gehören, sondern auch der Gebrauch der andersartigen Instrumente, mit denen Körner zerstossen oder Suppen umgerührt werden), indem man es über die Lippen führt und durch die Speiseröhre hinabgleiten lässt, es sich also buchstäblich einverleibt. Dies ist die einzige Art zu reisen, die heutzutage noch einen Sinn hat, seit man alles, was es zu sehen gibt, auch im Fernsehen sehen kann, ohne sich aus dem Sessel zu rühren. (Und man sage nicht, es sei dasselbe Ergebnis auch durch den Besuch der exotischen Restaurants in unseren Metropolen zu erreichen: Sie verfälschen die Realität der Küche, auf die sie sich berufen, dermassen gründlich, dass sie unter dem Aspekt der Erkenntniserfahrung, die man aus ihnen gewinnen kann, nicht einem Dokumentarfilm gleichen, sondern einer im Studio nachgebauten und abgefilmten Rekonstruktion des Ambiente.)
Italo Calvino Unter der Jaguar-Sonne in: Carl Hanser Verlag (1998) |