Günter Grass
Die Köchin küsst (1977)
Wenn sie den Mund,
der lieber summt als trällert,
öffnet und stülpt: seimigen Brei, Gaumenklösse
oder ein Stück mit praktischen Zähnen
aus mürbem Schafsnacken, der linken Gänsebrust beisst
und mir - in ihrem Speichel gewendet -
mit Zungenschub überträgt.
Vorgekaut Faserfleisch.
Durch den Wolf gedreht, was zu zäh.
Ihr Kuss füttert.
So wandern Forellenbäckchen, Oliven,
auch Nüsse, der Kern des Pflaumensteins,
den sie mit Backenzähnen geknackt hat,
Schwarzbrot im Bierschluck gespült,
ein Pfefferkorn heil
und Brockenkäse, den sie im Kuss noch teilt.
Hinfällig schon und in Kissen gedrückt,
von Fieber, Ekel, Gedanken kopfüber verzehrt,
lebte ich auf (immer wieder) von ihren Küssen,
die nie leer kamen oder nur sich meinten.
Und ich gab zurück:
Muschelfleisch Kälberhirn Hühnerherz Speck.
Einmal assen wir einen Hecht von der Gräte;
ich ihren, sie meinen.
Einmal tauschten wir Täubchen aus;
und selbst die Knöchlein noch.
Einmal (und immer wieder) küssten wir uns an Bohnen satt.
Einmal, nach immer dem gleichen Streit
(weil ich die Miete versoffen hatte)
versöhnte ein Rettich uns über Rübendistanz.
Und einmal machte im Sauerkraut Kümmel uns lustig,
den wir tauschten und tauschten: hungrig nach mehr.
Als Agnes, die Köchin,
den sterbenden Dichter Opitz küsste,
nahm er ein Spargelköpfchen mit auf die Reise.
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Günter Grass Die Köchin küsst in: Der Butt, Luchterhand Verlag, Darmstadt/Neuwied (1977), S. 295 f. oder Steidl Verlag Göttingen (1997) S. 301 f. |