Günter Grass
aus: Der Butt - Lena teilt Suppe aus (1977)
Aus Kesseln tief,
in denen lappiger Kohl und Graupen schwammen
oder Kartoffeln verkocht mit verkochten Wruken
und Fleisch nur Gerücht war,
es sei denn, es fielen Kaldaunen ab
oder ein Pferd krepierte zu günstigem Preis,
schöpfte Lena sämige Erbsen,
von denen nur Schlauben geblieben,
und Knorpel und Knöchlein,
die der Schweinsfuss, das Spitzbein gewesen waren
und nun im Kessel, wenn Lena tiefrührte, lärmten,
wie vor dem Kessel, in Schlange gestellt,
die mit dem Blechnapf lärmten.
Nie blindlings, auch nicht mit fischender Kelle.
Ihr Suppenschlag hatte Ruf.
Und wie sie erhöht neben dem Kessel stand,
linkshändig auf ihrer Schiefertafel Zählstriche reihte,
mit rechter Händ rührte, dann einen halben Liter genau
in Napf nach Napf kippte
und aus gerunzeltem Winterapfelgesicht
nicht in den Kessel schaute,
sondem, als sähe sie was, in die Zukunft biickte,
hätte man hoffen, irgendwas hoffen können.
Dabei säh sie hinter sich,
sah sich vergangene Suppen schöpfen,
vor, nach den Kriegen, im Krieg,
bis sie sich jung sah neben dem Kessel.
Die Bürger jedoch,
wie sie abseits in ihren Mänteln standen
und Lena Stubbe erhöht sahen,
fürchteten sich vor ihrer andauernden Schönheit.
Deshalb beschlossen sie,
der Armut einen verklärenden Sinn zu geben:
als Antwort auf die soziale Frage.
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Günter Grass Lena teilt Suppe aus in: Der Butt, Steidl Verlag Göttingen (1997), S. 516 |