James Joyce
aus: Ulysses (1922)
(...)
Er stiess die gebrechliche Tür des Abtritts auf. Bloss achtgeben, dass mir die Hose hier nicht dreckig wird, für die Beerdigung. Er ging hinein, beugte den Kopt unter den niedrigen Oberbalken. Die Tür halb offen lassend, löste er inmitten des Gestanks von modriger Kalktünche und schalen Spinnweben seine Hosenträger. Bevor er sich niederliess, spähte er durch eine Ritze zum Fenster des Nachbarhauses hinauf. Da kam ein jünger Königssohn, Königssohn, Königssohn. Kein Mensch.
Auf dem Kackstuhl hockend, entfaltete er seine Zeitung und schlug auf den entbössten Knien die Seiten um. Irgendwas Neues und Leichtes. Keine grosse Eile. Ruhig noch ein bisschen zurückhalten. Unser Preisausschreiben, der Lecherbissen der Woche. Matchams Meisterstreich. Von Mr. Philip Beaufoy, Playgoers' Club, London. Honorar in Hõbe von einer Guinee pro Spalte wurde an den Verfasser überwiesen. Dreieinhalb. Drei Pfund drei. Drei Pfund dreizehn-sechs.
In Ruhe las er, seinen Drang noch unterdrückend, die erste Spalte und begann, schon nachgebend, doch mit Widerstreben noch, die zweite. Auf ihrer Mitte angelangt, gab eir seinen letzten Widerstand auf und erlaubte seinen Eingeweiden, sich zu erleichtern, ganz so gemächlich, wie er las, und immer noch geduldig lesend, die leichte Verstopfung von gestern ganz verschwunden. Hoffentlich ists nicht zu gross, geht sonst mit den Hämorrhoiden wieder los. Nein, grade richtig. So. Ah! Bei Hartleibigkeit eine Tablette Cascara sagrada. Könnte alles im Leben so. Es bewegte oder berührte ihn nicht weiter, aber es war etwas Flottes und Sauberes. Drucken jetzt praktisch alles. Sauregurkenzeit. Er las weiter, gelassen über seinem eigenen aufsteigenden Geruch sitzend. Bestimmt eine saubere Sache. Matcham denkt noch oft an den Meisterstreich, durch welchen er die lachende Hexe gewann, die nunmehr. Fängt moralisch an und hört auch so auf. Hand in Hand. Gar nicht schlecht. Er überflog noch einmal, was er gelesen hatte, und während er ruhig sein Wasser abfliessen fühlte, beneidete er freundlich Mr. Beaufoy, der das geschrieben und drei Pfund dreizehn-sechs Honorar dafür bekommen hatte.
Könnt ich vielleicht auch hinkriegen, so eine Skizze. Von Mr. und Mrs. L. M. Bloom, Einfach erfinden. eine Geschichte auf irgendein Sprichwort, bloss welches? Damals, wie ich immer versucht habe, mir aut die Manschette zu kritzeln, was sie so alles sagte beim Anziehn. Zusammen anziehn sich, das find ich grässlich. Hatte mich beim Rasieren geschnitten. Sie biss sich auf die Unterlippe, ais sie den Schlitz ihres Rocks zuhakte. Genau nach Zeit sie notiert. 9.15. Hast du von Roberts schon dein Geid gekriegt? 9.20. Was hatte Gretta Conroy eigentlich an? 9.23. Also wozu hab ich mir bloss diesen Kamm gekauft? 9.24. Ich bin ganz aufgeblasen von dem Kohl. Ein Staubfleck auf dem Lackleder ihres Stiefels.
Wie sie sich munter den Schuhrand an ihrer Strumpfwade rieb, immer abwechselnd, den einen, den andern. Am Morgen nach dem Wohltätigkeitsball, wo May's Tanzkapelle gespielt hatte, Ponchiellis Tanz der Stunden. Ihr den erklärt, die Morgenstunden, Mittag, wie dann der Abend naht, dann die Nachtstunden. Ihr Zähneputzen. Das war die erste Nacht. Ihr Kopt tanzte. Ihre Fächerstäbe klickten. Steht sich dieser Boylan eigentlich gut? Er hat Geld. Wieso? Och, mir fiel auf, dass sein Atem gut roch beim Tanzen. Zwecklos da, noch weiter zu hmmmen. Direkt drauf anspielen. Merkwürdige Musik das, gestern nacht. Der Spiegel lag im Schatten. Sie rieb ihren Handspiegel energisch an ihrer Wolljacke, an ihrem vollen wogenden Busen. Schaute hinein. Fältchen um die Augen. Irgendwie wollte es nicht klappen.
Abendstunden, Mädchen in grauem Flor. Naditstunden dann, schwarz, mit Dolchen und Augenmasken. Poetische Idee, rosa, dann golden, dann grau, dann schwarz. Aber lebenswahr auch. Tag, dann die Nacht.
Er riss scharf die hälbe Preisgeschichte ab und wischte sich damit. Dann gürtete er sich die Hosen hoch, legte die Träger über und knöpfte sich zu. Er zog die ruckige wacklige Tür des Abtritts auf und trat aus dem Dunkel hinaus an die Luft.
Im hellen Licht, erleichtert und gekühlt an Leib und Gliedern, beäugte er sorgfältig seine schwarzen Hosen, die Enden, die Knie, die Kniekehlen. Wann ist die Beerdigung? Lieber noch in der Zeitung nachsehen. (...)
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James Joyce Ulysses, Übertragung von Hans Wollschläger in: Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. (1975), S. 96 ff. |