Franz Kafka
aus: Forschungen eines Hundes (1922)
(...) Man gab mir zwar noch immer nichts zu essen - woher hätte man es gleich nehmen sollen -, und wenn man es gerade zufällig hatte, vergass man natürlich in der Raserei des Hungers jede andere Rücksicht, aber das Angebot meinte man ernst, und hie und da bekam ich dann wirklich eine Kleinigkeit, wenn ich schnell genug dabei war, sie an mich zu reissen. Wie kam es, dass man sich zu mir so besonders verhielt, mich schonte, mich bevorzugte? Weil ich ein magerer, schwacher Hund war, schlecht genährt und zu wenig um Nahrung besorgt? Aber es laufen viele schlecht genährte Hunde herum und man nimmt ihnen selbst die elendeste Nahrung vor dem Mund weg, wenn man es kann, oft nicht aus Gier, sondern meist aus Grundsatz. Nein, man bevorzugte mich, ich konnte es nicht so sehr mit Einzelheiten belegen, als dass ich vielmehr den bestimmten Eindruck dessen hatte. Waren es also meine Fragen, über die man sich freute, die man für besonders klug ansah? Nein, man freute sich nicht und hielt sie alle für dumm. Und doch konnten es nur die Fragen sein, die mich die Aufmerksamkeit erwarben. Es war, als wolle man lieber das Ungeheuerliche tun, mir den Mund mit Essen zustopfen - man tat es nicht, aber man wollte es -, als meine Frage dulden.
Franz Kafka Forschungen eines Hundes in: F. Kafka, Schriften Tagebücher, Kritische Ausgabe, Drucke zu Lebzeiten, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. (2002), S. 333 f. |