Franz Kafka
aus: Forschungen eines Hundes (1922)
(...) Ich wälzte mich hin und her auf der Waldstreu, schlafen konnte ich nicht mehr, ich hörte überall Lärm, die während meines bisherigen Lebens schlafende Welt schien durch mein Hungern erwacht zu sein, ich bekam die Vorstellung, dass ich nie mehr werde fressen können, denn dadurch müsste ich die freigelassen lärmende Welt wieder zum Schweigen bringen, und das würde ich nicht imstande sein, den grössten Lärm allerdings hörte ich in meinem Bauche, ich legte oft das Ohr an ihn und muss entsetzte Augen gemacht haben, denn ich konnte kaum glauben, was ich hörte. Und da es nun zu arg wurde, schien der Taumel auch meine Natur zu ergreifen, sie machte sinnlose Rettungsversuche, ich begann Speisen zu riechen, auserlesene Speisen, die ich längst nicht mehr gegessen hatte, Freuden meiner Kindheit; ja, ich roch den Duft der Brüste meiner Mutter; ich vergass meinen Entschluss, Gerüchen Widerstand leisten zu wollen, oder richtiger, ich vergass ihn nicht; mit dem Entschluss, so als sei es ein Entschluss, der dazu gehöre, schleppte ich mich nach allen Seiten, immer nur ein paar Schritte und schnupperte, so als möchte ich die Speise nur, um mich vor ihr zu hüten. Dass ich nichts fand, enttäuschte mich nicht, die Speisen waren da, nur waren sie immer ein paar Schritte zu weit, die Beine knickten mir vorher ein. Gleichzeitig allerdings wusste ich, dass gar nichts da war, dass ich die kleinen Bewegungen nur machte aus Angst vor dem endgültigen Zusammenbrechen auf einem Platz, den ich nicht mehr verlassen würde. Die letzten Hoffnungen schwanden, ...
Franz Kafka Forschungen eines Hundes in: F. Kafka, Schriften Tagebücher, Kritische Ausgabe, Drucke zu Lebzeiten, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. (2002), S. 333 f. |