Illustration in Anlehnung an die französische Originalausgabe von 1901-1906
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Die Amme atmete schwer, ihr Kleid war geöffnet, ihre Wangen schlaff, ihre Augen matt, und sie sagte mit milder Stimme:
"Seit gestern habe ich den Kindern nicht die Brust gegeben, und jetzt bin ich schwindlig, als würde ich ohnmächtig."
Er antwortete nicht, denn er wusste nicht, was er sagen sollte.
Sie fuhr fort: "Wenn man so viel Milch wie ich hat, muss man dreimal am Tag die Brust geben, sonst fühlt man sich beklommen. Es ist wie ein Gewicht, das mir über dem Herzen liegt, ein Gewicht, das mich am Atmen hindert und mir die Glieder zerdrückt. Es ist ein Unglück, soviel Milch zu haben."
Er erwiderte: "Ja, es ist ein Unglück. Es muss Ihnen viel Beschwerde machen."
Sie schien tatsächlich recht krank, niedergedrückt und einer Ohnmacht nahe. Leise sagte sie: "Es genügt. drauf zu drücken, damit die Milch herauskommt wie aus einem Brunnen. Es ist wirklich merkwürdig anzuschauen. Man möchte es nicht glauben. In Cesale kamen alle Nachbarn her, mich anzuschauen."
Er sagte: "So, wirklich?"
"Ja, wirklich. Ich würde es Ihnen gern zeigen, aber es würde nichts nützen. Auf die Art kommt nicht genug heraus."
Sie verfiel wieder in Schweigen.
Der Zug hielt an einer Haltestelle. Bei einem Schlagbaum stand eine Frau mit einem kleinen weinenden Kind im Arm. Sie war mager und zerlumpt.
Die Amme schaute sie an und sagte in mitleidigem Ton: "Da ist wieder eine, der ich Erleichterung verschaffen könnte. Und der Kleine könnte auch mir Erleichterung verschaffen. Sehen Sie, ich bin nicht reich, denn ich verlasse ja mein Haus und meine Leute und meinen liebsten Neugeborenen, um in Stellung zu gehen. Aber ich würde doch fünf Francs geben, um dieses Kind da zehn Minuten im Arm zu haben und zu stillen. Das würde es zur Ruhe bringen, und mich erst! Ich glaube, ich würde wie neugeboren sein."
Wiederum würde sie stiil. Dann fuhr sie sich mehrmals mit ihrer brennenden Hand über die Stirn, von der Schweiss floss. Sie stöhnte: "Ich halt's nicht mehr aus. Mir scheint, ich werde sterben." Und mit unbewusster Gebärde öffnete sie ganz ihr Kleid.
Ihr rechter Busen kam zum Vorschein, riesig gross, straff gespannt, mit brauner Spitze. Und die arme Frau wimmerte: "Ach, mein Gott, mein Gott! Was werde ich anfangen?"
Der Zug hatte sich wieder in Gang gesetzt und fuhr wieter, mitten durch die Blumen, die den durchdringenden Atem ausströmten, der ihnen an lauen Abenden eigen ist. Hie und da stand ein Fischerboot wie eingeschlafen auf dem blauen Meer. Sein weisses Segel, das sich im Wasser spiegelte, rief ein Bild hervor, als stünde ein anderer Kahn auf dem Kopf daneben.
Der junge Mann stammelte verwirrt: "Ich ... ich könnte... könnte Ihnen Erleichterung verschaffen."
Sie antwortete mit gebrochener Stimme: "Ja. wenn Sie wollen. Sie werden mir einen rechten Dienst erweisen. Ich kann's nicht mehr ... ich kann's nicht mehr aushalten."
Er kniete sich vor ihr nieder, und sie beugte sich zu ihm und führte mit einer den Ammen geläufigen Bewegung die dunkle Spitze ihres Busens an seinen Mund, an der, wie sie ihn mit beiden Händen nahm, um ihn diesem Mann entgegenzustrecken, ein Tropfen Milch sichtbar würde.
Hastig trank er ihn, indem er diesen schweren Busen zwischen die Lippen nahm. Und er begann gierig und gIeichmässig zu saugen.
Seine beiden Arme hatte er um die Taille der Frau geschlungen und drückte sie fest, um ihr möglichst nahezukommen. Er trank in langsamen Schlucken mit einer Halsbewegung wie die der säugenden Kinder.
Auf einmal sagte sie: "Nun ist es genug auf dieser Seite, nehmen Sie jetzt den andern." Und fügsam nahm er den andern Busen.
Sie hatte ihre beiden Hände auf den Rücken des jungen Mannes gelegt und atmete tief. Glücklich genoss sie den Duft der Blumen der durch die Bewegung des Zuges in die Waggons getragen wurden.
Sie sagte: "Ganz gut riecht's hier."
Er antwortete nicht, sondern trank immer weiter aus dieser Quelle aus Menschenfleisch und schloss die Augen, wie um besser zu schmecken.
Aber endlich schob sie ihn sanft beiseite.
"Jetzt ist es genug. Ich fühle mich wohler. Das hat mir wiederum Leib und Seele zusammengebracht."
Er war aufgestanden und hatte sich mit dem Handrücken den Mund abgewischt.
Sie sagte zu ihm, indem sie die beiden lebendigen Schläuche, die ihre Brust spannten, unters Kleid steckte:
"Sie haben mir einen wunderbaren Dienst erwiesen. Ich danke Ihnen recht schön, Herr."
Er aber antwortete mit Erkenntlichkeit in der Stimme:
"Ich habe Ihnen zu danken, Frau. Es waren zwei Tage, dass ich nichts gegessen hatte."
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Guy de Maupassant Idylle in: Fünfzig weitere Novellen, Manesse Verlag, Zürich (1967), S. 395 ff. oder Romane und Novellen, 1. Band, Phaidon Verlag, Essen, S. 416 ff. |