Jonathan Swift
aus: Gullivers Reisen (Besuch in der Akademie von Lagado(*)) (1726)
Ich ging in ein anderes Zimmer, war aber drauf und dran, mich schleunigst wieder zurückzuziehen, da mich ein furchtbarer Gestank beinahe überwältigte. Mein Begleiter schob mich vorwärts, indem er mich im Flüsterton beschwor, kein Ärgemis zu erregen, was sehr übelgenommen würde, und deshalb wagte ich nicht einmal, mir die Nase zu verstopfen. Der Projektemacher in dieser Zelle war der älteste Gelehrte der Akademie; sein Gesicht und sein Bart waren von blassem Gelb, seine Hände und Kleider mit Schmutz beschmiert (**). Als ich ihm vorgestellt wurde, schloss er mich eng in die Arme (ein Kompliment, dessen Unterlassung ich durchaus hatte entschuldigen können). Seit seinem Eintritt in die Akademie beschäftigte er sich mit einem Verfahren, menschliche Exkremente in die ursprüngliche Nahrung zurückzuverwandeln, indem er die verschiedenen Bestandteile voneinander trennte, die Färbung, die sie von der Galle erhalten, beseitigte, den Geruch verfliegen liess und den Speichel abschäumte. Er erhielt von der Gesellschaft ein wöchentliches Kontingent von einem Behälter, der mit menschlichem Kot gefüllt war und etwa die Grösse eines Bristoler Fasses hatte.
(*) Die Schilderung der diversen Narreteien ist einerseits durch Anleihen bei François Rabelais (1494-1553, Arzt, Humanist und bedeutenster Prosaschriftsteller der franz. Renaissance; Gargantua und Pantagruel, Buch V, Kapitel 22) und andererseits durch karrikierte reale Forschungsprojekte der damaligen Royal Society motiviert.
(**) Die Idee zu diesem Projektleiter kommt von einem bei Rabelais erwähnten Proviantmeister, der "Menschenurin mit Pferdeäpfeln und grossem Haufen ehrlicher Christenscheisse zu fauliger Gärung zusammenrührte".
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Jonathan Swift Gullivers Reisen in: Jonathan Swift Gullivers Reisen, übersetzt von Hermann J. Real und Heinz J. Vienken Philipp Reclam jun., Stuttgart (1987), S. 233 f. oder: Jonathan Swift Gullivers Reisen, übersetzt von Franz Kottenkamp, Insel Verlag, Frankfurt a.M., (1972), S. 260 f., (Dritter Teil, 5 Kapitel, Besuch in der Akademie von Lagado) |