Jonathan Swift
aus: Gullivers Reisen (Besuch in der Akademie von Lagado(*)) (1726)
Ein anderer Professor zeigte mir ein grosses Papier von Anleitungen zur Aufdeckung von Komplotten und Verschwörungen gegen die Regierung. Er riet grossen Staatsmännern, die Ernährungsweise aller verdächtigen Personen zu untersuchen, ebenso ihre Essenszeiten, auf welcher Seite sie im Bett lägen und mit welcher Hand sie sich den Hintern wischten; ferner eine genaue Prüfung ihrer Exkremente (**) vorzunehmen und sich nach Farbe, Geruch, Geschmack, Beschaffenheit und Unverdautheit oder fortgeschrittenem Zustand der Verdauung ein Urteil über ihre Gedanken und Absichten zu bilden. Denn nie seien die Menschen so ernsthaft, gedankenvoll und angespannt, wie wenn sie zu Stuhle kommen. Er wisse das aus häufiger Erprobung; wenn er nämlich in einer solchen Lage versuchshalber überlegt habe, welches die beste Art und Weise sei, den König zu ermorden, so hätten seine Exkremente jedesmal eine grünliche Färbung gehabt, ganz anders aber, wenn er nur daran gedacht habe, einen Aufstand anzuzetteln oder die Hauptstadt in Brand zu setzen.
(*) Die Schilderung der diversen Narreteien ist einerseits durch Anleihen bei François Rabelais (1494-1553, Arzt, Humanist und bedeutenster Prosaschriftsteller der franz. Renaissance; Gargantua und Pantagruel, Buch V, Kapitel 22) und andererseits durch karrikierte reale Forschungsprojekte der damaligen Royal Society motiviert.
(**) Die Inspiration für diesen Methode der Gesinnungsschnüffelei lieferte der 1720 inszenierte Hochverratsprozess gegen den Bischof Francis Attenbury (1662-1732) wegen seiner Beteiligung an einer Verschwörung zur Wiederherstellung des Stuart-Regimes. Als Belastungsmaterial wurden zwei Briefe verwendet, die man auf dem bischöflichen Abort gefunden hatte.
|
Jonathan Swift Gullivers Reisen in: Jonathan Swift Gullivers Reisen, übersetzt von Hermann J. Real und Heinz J. Vienken Philipp Reclam jun., Stuttgart (1987), S. 233 f. oder: Jonathan Swift Gullivers Reisen, übersetzt von Franz Kottenkamp, Insel Verlag, Frankfurt a.M., (1972), S. 274 f., (Dritter Teil, 6 Kapitel, Besuch in der Akademie von Lagado) |