Jonathan Swift
aus: Bescheidener Vorschlag, wie man verhüten kann, dass die Kinder armer Leute in Irland ihren Eltern oder dem Lande zur Last fallen, und wie sie der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden können (1729)
Es ist ein trauriger Anblick für diejenigen, die durch unsere grosse Stadt (1) gehen oder über Land reisen, wenn sie sehen, wie die Strassen, die Wege und die Eingänge zu den Hütten von Bettlerinnen wimmeln, die, umgeben von drei, vier oder sechs völlig zerlumpten Kindern, jeden Passanten um ein Almosen angehen. Statt ehrlich ihr Brot verdienen zu können, sind diese Mütter gezwungen, sich den ganzen Tag herumzutreiben, um den Lebensunterhalt für lhre hilflosen Kinder zu erbetteln. Die Kinder werden, wie sie heranwachsen, entweder aus Mangel an Arbeit zu Dieben, oder sie verlassen ihr liebes Heimatland, um in Spanien für den Prätendenten zu kämpfen (2) oder sich nach Barbados zu verkaufen (3).
(...)
Ich werde deshalb jetzt bescheidentlich meine eigenen Gedanken darlegen, gegen die es, wie ich hoffe, keinerlei Einwände geben wird.
Von einem sehr sachverständigen Amerikaner (4) meiner Bekanntschaft in London ist mir versichert worden, dass ein junges, gesundes, gutgenährtes Kind im Alter von einem Jahr eine äusserst wohlschmeckende, nahrhafte und bekömmliche Speise sei, gleichviel, ob geschmort, gebraten, gebacken oder gekocht, und ich zweifle nicht, dass es in gleicher Weise zu Frikassee oder Ragout taugt.
Deshalb stelle ich es in aller Bescheidenheit der öffentlichkeit anheim zu erwägen, dass von den bereits aufgerechneten einhundertundzwanzigtausend Kindern zwanzigtausend für die Zucht zurückbehalten werden sollten; davon braucht nur ein Viertel männlichen Geschlechts zu sein, was mehr ist, als wir bei Schafen, schwarzen Rindern oder Schweinen dafür vorsehen. Mein Grund ist der, dass diese Kinder selten Früchte einer Ehe sind, eine Formalität, die von unseren Wilden nicht weiter beachtet wird, und daher reicht ein Männchen aut vier Weibchen aus. Die übrigen hunderttausend können, wenn sie ein Jahr alt sind, vornehmen und reichen Leuten im ganzen Königreich zum Kauf angeboten werden, wobei man die Mutter stets dazu anhalten sollte, sie im letzten Monat reichlich zu stillen, um sie fleischig und fett für eine gute Tafel zu machen. Ein Kind reicht für zwei Gerichte zur Bewirtung lieber Gäste, und wenn die Familie allein speist, so ergibt ein Vorder- oder Hinterviertel ein annehmbares Gericht; mit etwas Pfeffer oder Salz gewürzt, wird es gekocht noch am vierten Tag sehr gut schmecken, besonders im Winter (5).
Ich habe ausgerechnet, dass ein neugeborenes Kind im durchschnitt zwölf Pfund wiegt (6) und im Laufe eines Sonnenjahres bei leidlicher Fütterung bis aut achtundzwanzig Pfund zunimmt.
Ich gebe zu, dass diese Speise etwas teuer wird, und eben deshalb ist sie für Grundbesitzer besonders geeignet; denn da sie bereits die meisten Eltern verschlungen haben, steht ihnen gewiss auch das erste Anrecht auf die Kinder zu.
Kinderfleisch wird es das ganze Jahr über zu kaufen geben, reichlicher aber im März und kurz vorher und nachher, denn von einem ernsthaften Schriftsteller (7), einem hervorragenden französischen Arzt, hören wir, dass Fisch eine fruchtbarkeitssteigernde Kost ist und daher in römischkatholischen Ländern etwa neun Monate nach der Fastenzeit (8) mehr Kinder geboren werden als zu jeder anderen Jahreszeit. Daher werden schätzungsweise ein Jahr nach der Fastenzeit die Märkte noch mehr überschwemmt sein als gewöhnlich, weil in unserem Königreich papistische Kinder im Verhältnis von mindestens drei zu eins überwiegen, und deswegen wird mein Vorschlag den weiteren Vorteil mit sich bringen, dass die Zahl der Papisten unter uns verringert wird.
Ich hatte bereits die Kosten für die Aufzucht eines Bettlerkindes (zu welcher Kategorie ich alle Häusler, Arbeiter und vier Fünftel der Pächter rechne) einschliesslich seiner Lumpen auf etwa zwei Shilling im Jahr berechnet; und ich glaube, kein feiner Mann würde sich sträuben, für ein gutes, fettes Kind zehn Shilling pro Stück zu zahlen, das, wie ich bereits gesagt habe, vier Mahlzeiten von ausgezeichnetem, nahrhaftem Fleisch ergibt, wenn er nur mit einem besonders guten Freund oder der eigenen Familie zu Tisch sitzt. So wird der Landjunker lernen, ein guter Grundherr zu sein. und sich bei seinen Pächtern beliebt machen; die Mutter wird acht Shilling Reinverdienst haben und arbeitsfähig- bleiben, bis sie das nächste Kind hervorbringt.
Wer sparsamer ist (wie es, das muss ich zugeben, die Zeit erfordert), kann die Haut abziehen; kunstvoll gegerbt, wird sie vortreffliche Handschuhe für die Damen und Sommerstiefel für feine Herren liefern.
Was unsere Stadt Dublin angeht, so könnten zu diesem Zweck in den am bequemsten gelegenen Stadtteilen Schlachthäuser eingerichtet werden; an Metzgern dürfte es aller Voraussicht nach nicht fehlen, obwohl ich eher anrate, die Kinder lebend zu kaufen und sie noch warm nach dem Schlachten zuzubereiten, wie wir es mit Spanferkeln machen.
Eine hochangesehene Persönlichkeit, ein wahrer Freund seines Landes, dessen Tugenden ich überaus schätze, hatte kürzlich die Liebenswürdigkeit, bei einem Gespräch über diese Angelegenheit noch eine Verbesserung zu meinem Plan vorzuschlagen. Er sagte, dass viele vornehme Herren unseres Königreichs in letzter Zeit ihren Rotwildbestand ausgerottet hätten; deshalb glaube er, dass der Mangel an Wildbret gut durch die Leiber jünger Burschen und Mäd- chen nicht über vierzehn und nicht unter zwölf Jahren ausgeglichen werden könnte, zumal eine so grosse Zahl beiderlei Geschlechts in jedem Bezirk nahe daran sei, aus Mangel an Arbeit und Stellungen zu verhungern; und diese könnten von ihren Eltern - falls sie noch leben - oder sonst von ihren nächsten Verwandten veräussert werden. Indes bei aller gebührenden Hochachtung gegenüber einem so ausgezeichneten Freund und so verdienten Patrioten kann ich seinen Gedanken nicht ganz beipflichten; denn was die Männchen angeht, so hat mir mein amerikanischer Bekannter aus häufiger Erfahrung versichert, dass ihr Fleisch wie das unserer Schuljungen infolge vieler körperlicher Bewegung im allgemeinen zäh und mager und ihr Geschmack unangenehm sei, und sie zu mästen, würde die Kosten nicht lohnen. Was ferner die Weibchen angeht, so wäre es, wie ich mir ergebenst zu bemerken gestatte, ein Verlust für die öffentlichkeit, weil sie bald selbst Nachkommenschaft hervorbringen würden. Ausserdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass einige bedenkliche Leute geneigt sein könnten, ein solches Verfahren (wenn auch sehr zu unrecht) zu kritisieren, weil es ein wenig an Grausamkeit grenze, was für mich, wie ich gestehe, stets der stärkste Einwand gegen jeglichen Plan gewesen ist, so gut er auch gemeint sein mochte.
(...)
(1) Dublin 1729
(2) Zahlreiche katholische Iren dienten in den Armeen Frankreichs und Spaniens.
(3) Auf Barbados befanden sich grosse Zuckerrohrplantagen. Die Eigentümer besorgten sich ihre Arbeitskräfte aus dem Sklavenhandel oder kauften dem Staat Sträflinge ab. Oft verkauften sich die Armen selbst, wenn ihnen keinen anderer Ausweg blieb. Zwischen 1725 und 1728 wurden 4200 Iren nach Barbados verfrachtet.
(4) Amerika galt damals als teilweise von Kannibalen bewohnt.
(5) Anspielung auf das Weinachtsessen
(6) Eine bewusst falsche Angabe, die zusammen mit anderen offensichtlichen Rechenfehlern als Parodie auf inkompetente Projektleiter der damaligen Zeit zu verstehen ist.
(7) Verweis auf François Rabelais (1494-1553, Arzt, Humanist und bedeutenster Prosaschriftsteller der franz. Renaissance) resp. sein Werk Pantagruel, Buch IV, Kapitel 29.
(8) Hinweis auf die Weihnachtszeit; die Angaben sind wahrscheinlich bewusst wiedersprüchlich, damit das Weihnachtsfest nicht zu lästerlich als „Saison“ für Kinderfleisch wahrgenommen wird.
Jonathan Swift Bescheidener Vorschlag, wie man verhüten kann, dass die Kinder armer Leute in Irland ihren Eltern oder dem Land zur Last fallen, und wie sie der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden können in: Ausgewählte Werke 2, Politische Schriften, Insel Verlag, Frankfurt a.M. (1972), S. 513 f. oder: Satiren und Streitschriften aus dem englischen von Robert Schneebeli, Manesse-Verlag, Zürich (1993), S. 341 f. |