Antonio Tabucchi
aus: Lissabonner Requiem (1991)
(...)
Hast du schon zu Mittag gegessen? fragte Tadeus. Nein, sagte ich, ich habe heute morgen einen Kaffee getrunken, in dem Landhaus, wo ich mich aufhielt, seitdem habe ich nichts mehr zu mir genommen. Dann gehen wir essen, sagte Tadeus, gehen wir hinunter zu Casimiro, hör mal, du hast ja keine Ahnung, was dich erwarret, gestern habe ich mir sarrabulho a moda do Douro bestellt, das ist sagenhaft, Casimiros Frau stammt aus Douro, sie bereitet ein absolut göttliches sarrabulho zu, dafür würde man sogar sein Leben geben, ich weiss nicht, ob du mich verstehst. Ich weiss nicht einmal, was sarrabulho ist, sagte ich, es wird etwas Ungesundes sein wie alles, was dir schmeckt, ganz bestimmt mit Schweinefleisch zubereitet, du liebst ja Schweinefleisch, sogar bei dieser Hitze isst du Schweinefleisch, aber bevor wir ins Restaurant gehen, muss ich mit dir sprechen, hier' drin ist eine Flasche Champagner, inzwischen wird er warm sein, aber wir können Eiswürfel in die Gläser geben, da, es ist ein Laurent-Perrier, ich habe ihn in der Brasileira do Chiado gekauft. Tideus nahm die Flasche und ging die Gläser holen. Unterhalten wir uns im Restaurant, wenn es dir nichts ausmacht, sagte er aus der Küche, (...)
(...) Das Restaurant des Herrn Casimiro war wirklich hübsch. Der Boden war mit rautenförmigen schwarzweissen Marmorfliesen ausgelegt, und an den Wänden befanden sich Kacheln aus der Jahrhundertwende. Am anderen Ende des Saals, in der Nähe der Küche, hockte ein Papagei aut seiner Stange, und hin und wieder krächzte er: Um so besser! Herr Casimiro brachte Brot, Butter und Oliven. Zum sarrabulho sollte man Rotwein trinken, sagte er, aber ich weiss nicht, ob er Ihrem Freund schmeckt, ich habe gerade einen Reguengos aus dem Keller geholt, den ich Ihnen wärmstens empfehle. Mir ist Reguengos recht, entschied Tadeus. Ich nickte und seufzte: Einverstanden, das ist das Ende.
Der sarrabulho wurde aut einer dieser Platten aus braunem Steingut mit einem Relief aus gelben Blumen gebracht, wie man sie auf dem Markt kaufen kann. Auf den ersten Blick sah er widerwärtig aus. In der Mitte des Tellers schwammen die Karoffeln in geblichem Fett, und rundherum lagen das geschnetzelte Schweinefleisch und der Kuttelfleck. Das Ganze war vollgesogen mit einer dunkelbraunen Sauce, die wahrscheinlich mit Wein oder gekochtem Blut zubereitet worden war, ich hatte keine Ahnung. So etwas esse ich zum ersten Mal, sagte ich, inzwischen kenne ich Portugal zwar seit vielen Jahren, ich bin durch das ganze Land gereist, aber nie habe ich den Mut gefunden, dieses Gericht zu essen, das ist heute mein Ende, ich werde mich vergiften. Du wirst es nicht bereuen, sagte Tadeus, indem er mir vorlegte, iss, Angsthase, und rede keinen Blödsinn. Ich spiesste ein Stückchen Fleisch mit der Gabel auf und führte es mit beinahe geschlossenen Augen zum Mund. Es war köstlich, ein Gericht von erlesenem Geschmack. Tadeus bemerkte es, freute sich darüber, und in seine Augen trat ein Lächeln. Ein grossartiges Gericht, sagte ich, du hast recht, das gehört zum Besten, was ich in meinem Leben gegessen habe. Um so besser, krächzte der Papagei. Ich gebe ihm recht, sagte Tadeus und goss mir ein Glas Reguengos ein. Wir assen schweigend. (...)
Antonio Tabucchi Lissabonner Requiem in: Carl Hanser Verlag, München 1994, S. 37 f. |