Totem und Tabu scheinen für unsere Kultur zwar archaische Begriffe zu sein, doch man lasse sich nicht täuschen. Kennt man die Zusammenhänge, so wird man sich bewusst, dass wir oft archaischer sind als wir manchmal sein möchten.
Oft liegt einer positiven oder negativen Identifikation mit einer bestimmten Nahrung klar ein totemistischer Ansatz zugrunde, wie dies Sigmund Freud in seinem Buch "Totem und Tabu" schon 1913 genauer analysierte. Man muss dazu wissen, dass das Totemtier dabei in einem besonderen Verhältnis zu einer Sippe steht und als Stammvater angesehen wird, der nicht getötet und gegessen werden darf. Die Gemeinschaft hat dann in der Folge gemeinsam, was zu essen erlaubt oder verboten ist. Die Gemeinschaft grenzt sich dadurch von anderen Gruppen ab. Die eigene Nahrung wird als schmackhaft empfunden, während die fremde als ungeniessbar gilt. Speisen können geradezu tabuisiert werden, indem ihr Genuss als Sünde gilt. Es entsteht bezüglich Akzeptanz von Lebensmitteln deshalb in jeder Kultur eine Grauzone zwischen effektiv ungeniessbaren und nur scheinbar unzuträglichen Speisen. Appetit und Ekel können in der Folge durch rein kulturell anerzogene Verhaltensmuster beeinflusst werden. In diesem Kontext kann unsere Abscheu vor dem Verzehr von Insekten gesehen werden. Auch der Kannibalismus kann aus diesem Blickwinkel betrachtet werden. Es gab früher Volksgruppen, die damit keinerlei Probleme hatten, resp. in ihrem Tun einen spirituellen Wert erkannten, während unser Kulturkreis mit Abscheu von scheinbar "primitiven" Völkern spricht.
|
|
Schlussendlich müssen aber auch wir töten, um zu essen, wodurch ebenfalls Schuldgefühle auftauchen (siehe auch hier).
In der Literatur findet man viele Beispiele zu dieser Abgrenzung von Esskulturen. Im Zeitalter der zunehmend unbegrenzten Auswahlmöglichkeit zwischen beliebigen Geschmäckern stellt sich die Frage, ob dies zu einer fortschreitenden Differenzierung und Verfeinerung des Geschmacks führt, oder ob wir uns einer Nivelierung der Küchen annähern. Samuel Becketts Roman "Watt" zeigt die letztere Möglichkeit auf, indem nur noch ein wöchentlich gleichbleibendes Eintopfgericht mit allen notwendigen Nährstoffen und Vitaminen zubereitet wird. Dieser Prozess kann als Auslöschung jeglicher kulinarischer Differenz verstanden werden. Damit ist wohl aber auch ein grosser Verlust an Kultur verbunden, wie aus dem Werk von Gerhard Meier ("Land der Winde") klar wird: Hier zeigt es sich, dass Geschmack und Geruch via Zunge und Nase ein ungleich schnelleres Reisemittel sind als jedes Flugzeug, weil in Gedanken und Empfindung schnell grosse Distanzen zu fremden Kulturen überwunden werden können. Der Mensch assoziiert mit seinen Wahrnehmungen bereits Erlebtes und kann sich dadurch in Gedanken in Raum und Zeit virtuell versetzen.
Zu erwähnen bleibt an dieser Stelle noch, dass auch die Raumfahrt schon Ihre Erfahrungen mit einer Nivelierung der Nahrung gemacht hat. Die Astronauten wurden der Kunstnahrung bald überdrüssig und es ergaben sich zunehmend Motivationsprobleme.
|
|