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Textfragmente:
Totem, Tabus, Gewohnheiten
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Die Identität eines Volkes äussert sich nicht nur in einer gemeinsamen Sprache, Religion und Kleidung, sondern oft auch daran, wie und was gegessen wird. |
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Heinrich Heine, Deutschland - ein Wintermärchen - Caput IX (1844):
Von Köllen war ich drei Viertel auf acht
Des Morgens fortgereiset;
Wir kamen nach Hagen schon gegen drei,
Da wird zu Mittag gespeiset.
Der Tisch war gedeckt. Hier fand ich ganz
Die altgermanische Küche.
Sei mir gegrüsst, mein Sauerkraut,
Holdselig sind deine Gerüche!
Gestovte Kastanien im grünen Kohl!
So ass ich sie einst bei der Mutter!
Ihr heimischen Stockfische, seid mir gegrüsst!
Wie schwimmt ihr klug in der Butter!
Jedwedem fühlenden Herzen bleibt
Das Vaterland ewig teuer -
Ich liebe auch recht braun geschmort
Die Bücklinge und Eier.
Wie jauchzten die Würste im spritzelnden Fett!
Die Krammetsvögel, die frommen
Gebratenen Englein mit Apfelmus,
Sie zwitscherten mir: Willkommen!
Willkommen, Landsmann, - zwitscherten sie -
Bist lange ausgeblieben,
Hast dich mit fremdem Gevögel so lang
In der Fremde herumgetrieben!
Es stand auf dem Tisch eine Gans,
Ein stilles, gemütliches Wesen.
Sie hat vielleicht mich einst geliebt,
Als wir beide noch jung gewesen.
Sie blickte mich an so bedeutungsvoll,
So innig, so treu, so wehe!
Besass eine schöne Seele gewiss,
Doch war das Fleisch sehr zähe.
Auch einen Schweinskopf trug man auf
In einer zinnernen Schüssel;
Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns
Mit Lorbeerblättern den Rüssel.
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Michel Onfray, Versuch einer alimentären Autobiographie:
Einige Reisen ins Ausland boten mir Gelegenheit, Geographien zu kosten, verschiedene Erden und Himmel zu schlürfen, von fernen Gegenden und Sitten geprägte Düfte und Würzen schätzen zu lernen. (...) Ein Land sehen genügt nicht; man muss es auch hören und schmecken, es durch alle Poren in sich eindringen lassen. Der Körper ist der einzige Zugang zur Erkenntnis. Grimod de la Reynière hat sehr gut gezeigt, dass nur eine Geographie der Feinschmeckerei nicht langweilig ist.
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Jonathan Swift, aus: Bescheidener Vorschlag, wie man verhüten kann, dass die Kinder armer Leute in Irland ihren Eltern oder dem Lande zur Last fallen, und wie sie der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden können (1729):
(...) Von einem sehr sachverständigen Amerikaner meiner Bekanntschaft in London ist mir versichert worden, dass ein junges, gesundes, gutgenährtes Kind im Alter von einem Jahr eine äusserst wohlschmeckende, nahrhafte und bekömmliche Speise sei, gleichviel, ob geschmort, gebraten, gebacken oder gekocht, und ich zweifle nicht, dass es in gleicher Weise zu Frikassee oder Ragout taugt..
(...)
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Gerhard Meier, Land der Winde (1990):
(...)
Flädlisuppe, Rindsbraten, Kartoffelstock, gemischter Salat, das obligate Menu eben, komme diesmal nicht auf den Tisch, dafür aber Eierpilze, Reis, Salat, Rotwein, sagte Katharina.
Von der Küche her war danach munteres Pfannengerassel zu hören, während Napoleon, wie an jenem Karnevalswochenende, durch sein Fernrohr schaute, über die Steppe hin, nach Moskau, das er einzunehmen gedachte, gegen den Widerstand von Marschall Kutusow und dessen Landwehrmännern, die am Abend vor der Schlacht bei Borodino weisse Hemden angezogen hatten, um sauber anzutreten, am Morgen dann, zur grossen Schlacht.
Nun begannen die Eierpilze in der Bratpfanne zu duften, so dass die ursprüngliche Liegenschaft wieder zu erstehen schien, wo Kaspars Mutter noch unten, auf einem primitiven Holzherd Eierpilze gebraten hatte, so dass das ganze Haus nach Pilzen und Wald gerochen habe. Und in mir drin erstand das Bildnis der Natascha, die beim Pilzesammeln auf den Bienenvater gestossen war. ...
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Joseph Roth, Radetzkymarsch (1932):
Jacques stand hinter seinem Rücken und räusperte sich. Das Mittagessen begann also. Wenn die Musik eine Pause machte, hörte man ein leises Tellerklirren aus dem Speisezimmer. Es lag durch zwei weitere Räume vom Balkon getrennt, genau in der Mitte des ersten Stockwerks. Während des Essens klang die Musik fern, aber deutlich. Leider spielte sie nicht jeden Tag. Sie war gut und nützlich, sie umrankte die feierliche Zeremonie des Essens mild und versöhnend und liess keins der peinlichen, kurzen und harten Gespräche aufkommen, die der Vater so oft anzubrechen liebte. Man konnte schweigen, zuhören und geniessen.
(...)
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La Bruyère, Die Charaktere:
Was bestimmt die Menschen, in ihrer Art zu leben und sich zu nähren? Rücksicht auf die Gesundheit? Das ist zweifelhaft. Ein Volk isst die Fleischspeise nach den Früchten, ein anderes tut das Gegenteil; manche wieder beginnen ihre Mahlzeiten mit gewissen Früchten und beschliessen sie mit anderen.Wer entscheidet darüber? Vernunft? Gewohnheit?
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Bertolt Brecht, Fröhlich vom Fleisch zu essen (1954):
Fröhlich vom Fleisch zu essen, das saftige Lendenstück
Und mit dem Roggenbrot, dem ausgebackenen, duftenden
Den Käse vom grossen Laib und aus dem Krug Das kalte Bier zu trinken, das wird
Niedrig gescholten, aber ich meine, in die Grube gelegt werden
Ohne einen Mundvoll guten Fleisches genossen zu haben
Ist unmenschlich, und das sage ich, der ich
Ein schlechter Esser bin.
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BB / 4.9.2004 - Last update: 07.12.2004
Autor: Dr. Bruno Baumann / Seitenaufrufe:
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