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Textfragmente: Der Kampf der Fetten und Mageren
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Der Konflikt zwischen den Fetten und Mageren hat die Menschen schon immer beschäftigt. Dies zeigt sich sowohl in Malerei als auch Literatur. |
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Das Motiv des Kampfes zwischen den Fetten und den Mageren geht auf eine lange Tradition zurück. Seit dem Mittelalter sind dazu zahlreiche Darstellungen in Wort und Bild entstanden. Viele Fasnachtsspiele und Fazetien knüpfen an diese Auseinandersetzung zwischen Völlerei und Hunger an. Sie gehören geradezu zum bäuerlichen Lebenszyklus: Der Kampf um das tägliche Brot. Man muss sich bewusst sein, dass bereits die Ernte von den Launen der Natur abhängig war. Das Wenige, das man der Natur abgetrotzt hatte wurde dann noch durch die Zinsen der Lehnherren oder durch plündernde Heere geschmälert. Auch die Kirche sorgte dafür, dass auf Feste immer wieder Fastenzeiten folgten. Nicht von Ungefähr kommt deshalb auch die Redensart "Am Hungertuch nagen": Sie geht auf den Brauch zurück, in der Kirche das Kreuz während den 40 Fastentagen vor Ostern mit einem Tuch zu verhüllen, das die Gläubigen dann küssen durften. |
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Bekannt sind zu diesem Thema auch die in Frankreich noch im 19. Jahrhundert populären Stiche nach Pieter Bruegels d. Ä. von der "Küche der Fetten" und der "Küche der Mageren". Das Zola immer noch auf dieses Motiv zurückgreift zeigt, dass das Grundproblem der Verteilung auch in den reichen Gesellschaften Europas weiterhin besteht. Für Brecht ist der Kampf um das Essen ein substantieller Motor der sozialen Auseinadersetzung.
Wenn zwischen den Parteien ein Friede geschlossen wird, dann handelt es sich meist um eine Beschwörung einer Idylle, aus der man aber auch schnell wieder vertreiben werden kann (Goethe: Die Leiden des jungen Werthers).
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Der Kampf
Emile Zola, Der Bauch von Paris:
"Kennen Sie den Kampf der Fetten und der Mageren?" Florent verneinte erstaunt die Frage. Da ereiferte sich der Maler und sprach mit grossem Lob über diese Serie von Stichen. Er beschrieb ein paar Motive: Die Fetten, die so fett sind, dass sie fast platzen, bereiten die abendliche Schlemmerei vor, während die vom Fasten gebeugten Mageren mit der Miene neidischer Bohnenstangen von der Strasse aus zuschauen; oder wie die Fetten, die mit feisten Wangen bei Tisch sitzen und einen Mageren verjagen, der die Stirn hat, demütig einzutreten, und der inmitten eines Volkes von Kugeln einem Kegel ähnelt. Claude sah darin das ganze menschliche Drama und teilte die Menschen schliesslich in Magere und Fette ein, in zwei feindliche Gruppen, von denen die eine die andere verschlingt, einen dicken Bauch bekommt und sich des Lebens freut.
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Pieter van der Heyden - Die fette Küche - 1563 - Kupferstich - Grafische Sammlung der ETHZ (siehe auch hier)
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Bertolt Brecht, Solidaritätslied (1931):
Auf, ihr Vöiker dieser Erde!
Einigt euch in diesem Sinn:
Dass sie jetzt die eure werde
Und die grosse Nährerin.
Vorwärts, und nie vergessen
Worin unsre Stärke besteht.
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nicht vergessen
Die Solidarität!
Schwarzer, Weisser, Brauner, Gelber!
Endet ihre Schlächterein!
Reden erst die Völker selber
Werden sie schnell einig sein.
Vorwärts, und nie vergessen
Worin unsre Stärke besteht.
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nicht vergessen
Die Solidarität!
Wollen wir es schnell erreichen
Brauchen wir noch dich und dich.
Wer im Stich lässt seinesgleichen
Lässt ja nur sich selbst im Stich.
Vorwärts, und nie vergessen
Wonn unsre Stärke besteht.
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nicht vergessen
Die Solidarität!
Unsre Herrn, wer sie auch seien
Sehen unsre Zwietracht gern
Denn solang sie uns entzweien
Bleiben sie doch unsre Herrn.
Vorwärts, und nie vergessen
Worin unsre Stärke besteht.
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nicht vergessen
Die Solidarität!
Proletarier aller Länder
Einigt euch und ihr seid frei
Eure grossen Regimenter
Brechen jede Tyrannei!
Vorwärts, und nie vergessen
Und die Frage konkret gestellt
Beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen ?
Wessen Welt ist die Welt?
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Pieter van der Heyden - Die magere Küche - 1563 - Kupferstich - Grafische Sammlung der ETH Zürich (siehe auch hier)
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Günter Grass, Am Hungertuch nagen (1977):
Immer schon sprach aus hohlem Bauch
die Mehlschütte Trost,
und Schnee fiel wie zum Beweis.
Nagte er nur die verhängte Karwoche lang,
wäre das Fasten ein Spass,
Fladen mit nichts zu beissen,
aber es deckt den Winter über bis in den März
das Tuch totenstill meine Gegend,
während woanders die Speicher schlau
und die Märkte gesättigt sind.
Gegen den Hunger ist viel geschrieben worden.
Wie schön er macht.
Wie frei von Schlacke seine Idee ist.
Wie dumm die Made im Speck bleibt.
Und immer schon gab es Schweizer,
die sich vor Gott (oder sonstwem)
wohltätig zeigten: es fehlte ja nur
das Notwendigste.
Als aber endlich genug war
und Amanda Woyke mit Korb, Hacke und ihren Töchtern
in die Kartoffeln ging, sassen woanders Herren am Tisch
und sorgten sich um den fallenden Preis der Hirse.
Es ist die Nachfrage, sagte Professor Bürlimann,
die immer alles am Ende regelt -
und lächelte liberal.
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Der Friede
Johann Wolfgang von Goethe, aus: Die Leiden des jungen Werther - Am 21 Junius (1774):
(...) So sehnt sich der unruhigste Vagabund zuletzt wieder nach seinem Vaterlande und findet in seiner Hütte, an der Brust seiner Gattin, in dem Kreise seiner Kinder, in den Geschäften zu ihrer Erhaltung die Wonne, die er in der weiten Welt vergebens suchte.
Wenn ich des Morgens mit Sonnenautgange hinausgehe nach meinem Wahlheim, und dort im Wirtsgarten mir meine Zuckererbsen selbst pflücke, mich hinsetze, sie abfädne und dazwischen in meinem Homer lese; wenn ich dann in der kleinen Küche mir einen Topf wähle, mir Butter aussteche, Schoten aus Feuer stelle, zudecke und mich dazusetze, sie manchmal umzuschütteln: da fühl' ich so lebhaft wie die übermütigen Freier der Penelope
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Ochsen und Schweineschlachten, zerlegen und braten. Es ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren Empfindung ausfüllte als die Züge patriarchalischen Lebens, die ich, Gott sei Dank, ohne Affektion in meine Lebensart verweben kann.
Wie wohl ist mir's, dass mein Herz die simple harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er 'selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoss, und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hatte, alle in einem Augenblicke wieder mitgeniesst.
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Mehr zu den Beteiligten finden Sie hier und hier...
BB / 8.8.2004 - Last update: 07.12.2004
Autor: Dr. Bruno Baumann / Seitenaufrufe:
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Sprichwort
Weitere finden Sie hier...
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