Die Produktespezifischen Eigenschaften von Lebensmitteln
Unter den produktespezifischen oder "inneren" Faktoren eines Lebensmittels sind alle chemischen, biochemischen und strukturellen Eigenschaften eines Lebensmittels zu verstehen, die bestimmte Mikroorganismen entweder bevorzugen oder benachteiligen. Diese Faktoren bestimmen bereits zu einem frühen Zeitpunkt, welche Mikroorganismen der initialem Flora sich weiter vermehren können und wie ein allfälliger Verderb später aussehen wird.
Die wichtigsten produktespezifischen Eigenschaften im Hinblick auf den Verderb sind:
a) Inhaltsstoffe
- Prinzipiell haben die meisten Verderbnisorganismen nur geringe Nährstoffansprüche. Sie können fast alle vorkommenden, niedermolekularen Inhaltsstoffe direkt verwerten.
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- Alle höhermolekularen Inhaltsstoffe müssen zuerst durch mikrobielle Exoenzyme (Enzyme, die in das Substrat ausgeschieden werden) in ihre niedermolekularen Bestandteile aufgespalten werden. Die abgegeben Exoenzyme wirken unabhängig von ihren Produzenten weiter.
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- Nur wenige Stoffe können nicht oder nur von Speziallisten abgebaut werden (z. B. Zellulose, Lignin, Keratin, Elastin, Wachse).
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- Die meisten Mikroorganismen der Verderbnis sind unabhängig vom Vorhandensein von Vitaminen. Nur Milchsäurebakterien benötigen bestimmte Vitamine, die aber in den meisten Produkten immer ausreichend vorhanden sind.
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- In vielen Lebensmitteln sind antimikrobielle Stoffe vorhanden. Diese sind aber nur bei den Rohprodukten nachweisbar und gehen während der Lagerung zunehmend verloren.
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b) Struktur und Textur
- Die meisten pflanzlichen Rohprodukte sind durch schwer abbaubare äussere Schichten (z. B. Wachse bei Früchten) oder starke Samenschalen gegen das Eindringen von Mikroorganismen geschützt. Erst nach einer Verletzung der Schutzschicht können Mikroorganismen eindringen.
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- Auch bei tierischen Rohprodukten besteht eine schützende Bindegewebsschicht, die vor dem Eindringen der Oberflächenflora schützt. Bei Eiern wird diese Funktion durch die Schale übernommen.
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c) Wasseraktivität
Die Wasseraktivität ist ein Mass für die Verfügbarkeit von Wasser in Lebensmitteln und darf nicht mit dem Wassergehalt (g Wasser / g Substrat) verwechselt werden. Die Wasseraktivität wird mit dem sogenannten aw-Wert angegeben und bewegt sich zwischen 0 (absolute Trockenheit) und 1 (kondensierende Feuchte). Sie ist in Bezug auf die mikrobiologische Haltbarkeit resp. die biologischen Funktionen der Mikroorganismen von grosser Bedeutung. Die Wasseraktivität nimmt aber auch wesentlichen Einfluss auf das chemische Verhalten von Lebensmitteln.
Als Einflussfaktor beim mikrobiologischen Verderb nimmt die Wasseraktivität folgendermassen Einfluss:
- In Lebensmitteln kann das Wasser auf verschiedene Arten gebunden resp. unterschiedlich verfügbar sein:
- durch gelöste Stoffe (Zucker, Salze, Säuren)
- durch Adsorption an bestimmte Inhaltsbestandteile (Polysaccharide, Proteine)
- durch ungleiche räumliche Verteilung aufgrund der physikalischen Struktur (z. B. Einschluss von Wasser in der Fettphase von Butter)
Der analytisch bestimmbare Wassergehalt [g/g] stimmt deshalb selten mit dem Wasseranteil überein, der den Mikroorganismen effektiv zur Verfügung steht.
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- Der aw-Wert eines Lebensmittels ist immer nur ein relativ grober Integralwert. Im Mikrobereich, insbesondere an Grenzflächen, wo die Mikroorganismenvermehrung stattfindet, können lokal oft wesentlich höhere Wasseraktivitäten herrschen. Vorsicht ist insbesondere bei zusammengesetzten, stückigen Lebensmitteln geboten, wo ein relativ tiefer aw-Wert noch keine Garantie für ein fehlendes Mikroorganismenwachstum ist. Insbesondere Poren können infolge von Kapillarkräften Wasser speichern, obwohl die Oberfläche trocken scheint.
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- Mikroorganismen benötigen für die Vermehrung und den Stoffwechsel ausreichend frei verfügbares Wasser. Ist dieses nicht vorhanden, wird die Stoffwechseltätigkeit ganz oder teilweise eingestellt. Die Empfindlichkeit der Mikroorganismen ist sehr unterschiedlich und die Natur hat auch diverse Strategien entwickelt um "Trockenzeiten" zu überstehen.
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- Die Wasserverfügbarkeit der meisten frischen Lebensmittel liegt zwischen 0.98 und 0.99. Hier liegt auch der optimale Wert für das Wachstum der meisten Mikroorganismen. Eine Absenkung (Trocknung) reduziert deshalb die Anzahl der möglichen vermehrungsfähigen Mikroorganismen stark. Wesentlich weniger sind Sporen (Dauerformen) betroffen.
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- Bakterien stellen normalerweise die höchsten Ansprüche an den Gehalt von frei verfügbarem Wasser im Substrat. Das Minimum einer Vermehrung liegt in der Regel bei aw-Werten von 0.91 bis 0.96. Alle potentiell pathogenen Bakterien sind sehr empfindlich gegen eine niedrige Wasseraktivität. Der Grenz-aw-Wert von Cl. botulinum liegt bei 0.95. Problematisch ist Staphylococcus aureus, der auch tiefe aw-Werte von 0.86 bis 0.90 überdauert.
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- Hefen können meist bei niedrigeren aw-Werten als Bakterien wachsen. Die untere Grenze liegt zwischen 0.88 und 0.94.
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- Schimmelpilze können noch bei aw-Werten von 0.80 bis 0.85 wachsen. Sie werden dann als "xerotolerant" bezeichnet.
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Grundsätzlich wird bei zunehmend tieferer Wasserverfügbarkeit das Wachstum und die Vermehrung auch bei toleranten Spezialisten zunehmend geringer. Erst bei aw-Werten von unter 0.60 ist kein Mikroorganismenwachstum mehr möglich.
d) pH-Wert
Der pH-Wert ist ein Mass für die Konzentration von Hydrogen-Ionen (H3O+). Saure Medien ergeben einen Wert unterhalb 7; basische Medien einen Wert über 7. Neutral ist ein Wert von 7. Mikroorgansimen können sich grundsätzlich in einem für sie optimalen Bereich besonders gut vermehren. Darüberhinaus gelten folgende Regeln:
- Fast alle Mikroorganismen wachsen im neutralen Bereich am Besten (pH 6.6 - 7.5). Bei höherem oder tieferem pH werden die Stoffwechselaktivitäten zunehmend geringer.
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- Bei den meisten Bakterien, insbesondere den potentiell pathogenen und toxigenen Arten liegt das pH-Minimum bei etwa 4.4.
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- Bei erhöhten pH-Werten ist das Wachstum von Verderbnisorganismen stark gehemmt. Ab pH 9.0 können nur noch Speziallisten überleben.
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- Nur wenige Bakterienarten können bis etwa pH 3.0 wachsen (Milchsäurebakterien). Dabei besteht eine Abhängigkeit von der Art der Säure. Milchsäure und Essigsäure werden besser toleriert als Salz-, Citronen-, Wein- und Phosphorsäure.
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- Hefen und Schimmelpilze können bei pH-Werten bis zu 1.5 wachsen. Auch hier spielt die Art der Säure eine Rolle.
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Wichtig ist die Pufferkapazität in den Lebensmitteln. Eiweissreiche Produkte haben eine hohe, pflanzliche Produkte dagegen nur eine geringe Pufferkapazität. Bei eiweisshaltigen Produkten kommt es deshalb bei Säurebildung im Zuge von Reifung- und Lagerung nur zu einem langsamen Abfall der pH-Werte. Verderbsorganismen haben daher leichteres Spiel.
e) Redoxpotential
Das Redoxpotential gibt den Oxidations- oder Reduktionszustand eines Substrates an. Das spezifische Redoxpotential eines Produktes wird einerseits von der chemischen Zusammensetzung (d.h. vom Vorhandensein oxidierend oder reduzierend wirksamer Stoffe) und andererseits vom Sauerstoffgehalt bestimmt.
- Aerobe Mikroorganismen, die für den Oberflächenverderb von Lebensmitteln verantwortlich sind, benötigen ein hohes positives Redoxpotential (Pseudomonaden, Bacillus-Arten, Hefen, Schimmelpilze).
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- Streng anaerobe Bakterien benötigen ein niedriges Redoxpotential. Es gibt graduelle Unterschiede zwischen den Arten, so das zwischen streng und fakultativ anaeroben Bakterien unterschieden wird. Einzelne Organismen können ihren Stoffwechsel sogar so umstellen, das sie mit und ohne Sauerstoff mehr oder weniger gut gedeihen können.
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Pflanzliche Rohprodukte haben in der Regel ein hohes Reduktionspotential. Es dominieren deshalb aerobe Verderbniserreger. Fleisch hat dagegen ein tiefes, negatives Redoxpotential und Käse liegt dazwischen (im negativen Bereich).
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